Ich finde es ist eine durchaus interessane Frage, ob überhaupt irgendwelche Systeme intuitiv bedienbar sind. Wir beschäftigen uns ja ausschließlich mit Software, daher lasse ich mal die ganze Betrachtung von technischen Geräten außen vor. Um es vorwegzunehmen; ich bin der festen Überzeugung, dass es keine intuitiv bedienbare Software gibt, ohne Ausnahme, sozusagen per se nicht.
Was heißt denn tatsächlich intuitiv bedienbar? Es bedeutet, dass wir eine Software ohne die geringste Einweisung oder Schulung sofort bedienen können. Alles erschließt sich von selbst und erscheint „magisch einleuchtend“. Demzufolge müsste also jemand, der noch niemals einen Computer bedient hat, sofort ein wirklich gut gemachtes Fach-Softwaresystem bedienen können (sofern der Anwender selbst vom Fach ist), denn es ist ja alles intuitiv. Absolut jede entsprechende Untersuchung zeigt, dass das nicht funktioniert. Es ist immer ein irgendwie gearteter Ausbildungsstand notwendig, um ein neues System als selbsterklärend, also intuitiv wahrnehmen zu können. Nun kann man natürlich den Einwand bringen, dass z.b. ein IPhone wirklich intuitiv ist, ein einmaliges neuartiges Bedienkonzept wurde von jedem, der das IPhone zum ersten Mal in die Hand nahm, sofort „intuitiv“ angewendet. Dazu kann ich nur sagen, „Hut ab vor der Leistung von Apple“, allerdings nicht der Programmierer (die waren sicherlich auch sehr gut) sondern der Marketingabteilung. Die Empfindung der Intuitivität beruht hier ausschließlich darauf, dass schon Monate vor der Markteinführung wirklich jeder Mensch im Rahmen von Marketingmaßnahmen (Werbespots) schon mal gesehen hat, wie man das Gerät bedient.
Intuitiv bedienbar heißt also nichts anderes als dass man im Augenblick des Erstkontakts nichts neues hinzulernen muss. In einer etwas schwächeren Form des intuitiven Bedienkonzepts kann man erlerntes Wissen aus der Vergangenheit in gleicher Form weiter anwenden. Intuitivität bei vollkommen neuartigen Konzepten ist also nur ein psychologischer Trick (via Marketing), tatsächlich gibt es sie nicht.
Interessant in diesem Zusammenhang finde ich das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Softwarekonzepte zur Erledigung der gleichen Arbeit. Vergleicht man zwei Systeme miteinander und stellt die Frage, welches der beiden Systeme denn nun intuitiver bedienbar ist, so erhält man unterschiedliche Aussagen basierend auf folgenden Ausgangspunkten:
- Anwender kennt System A, soll System B beurteilen
- Anwender kennt System B, soll System A beurteilen
- Anwender kennt weder A noch B, soll beides beurteilen
- Anwender ist Computerneuling, soll beides beurteilen
Die objektivsten Aussagen bekommt man ausschließlich von den Anwendern, die keines der zu beurteilenden Systeme kennen. Tatsächlich ist es absolut gleichgültig, welche Vorteile das eine oder andere System hat, je höher der Lernaufwand für den Anwender war, ein System zu erlernen, desto größer ist die Abneigung dagegen, ein anderes System zu erlernen. Es gibt hier auch eine riesige Diskrepanz zwischen objektiver und subjektiver Wahrnehmung. Objektiv kann ein System zum Beispiel meßbar um Zehnerpotenzen schneller sein, wenn ein hinreichendes Maß an Ablehnung vorhanden ist, so wird es vom Anwender subjektiv denoch als langsamer wahrgenommen. Ich habe das wirklich mal mit einer Stoppuhr neben einem Anwender stehend gemessen. Zwei Sekunden in der einen Software, 30 Sekunden in der anderen Software und denoch sagte die Anwenderin „sehen Sie, es geht schneller“. Als ich ihr die „unbestechliche“ Stoppuhr zeigte, wurde mir schlicht unterstellt, ich hätte die Uhr manipuliert. Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, wir können ohne weiteres damit leben, stetig defizitär mit uns selbst umzugehen (unsere Zeit, unser Geld, unsere Gesundheit), sofern keine wirklich einschneidenden Digen passieren. Es ist wunderbar einfach, einen steten Leistungsverlust von 20 oder 30% zu akzeptieren (man nimmt ihn ja gar nicht wahr), als sich tatsächlich einmalig vollständig umzustellen (denn das nimmt man wahr).